Betroffene von starken Ängsten bemerken meist gar nicht, dass ihre Aufmerksamkeit vor, während und nach angstauslösenden Situationen einseitig, auf innere Ereignisse gerichtet ist. Das heisst, dass die Aufmerksamkeit auf eigene Gedanken und Gefühle und weniger auf das, was «draussen» um einen herum passiert, gerichtet ist. Den negativen Effekt dieser selbstfokussierten Aufmerksamkeit können Sie wahrscheinlich gut nachvollziehen, wenn ein besonderes Ereignis diesen Prozess unterbricht. Denken Sie zum Beispiel an eine Notfallsituation, die eine andere Person betrifft. Was passiert dann mit Ihrer Aufmerksamkeit und mit Ihren Ängsten? – Sie werden wahrscheinlich bemerken, dass Sie sich dann voll auf die Situation (und eben nicht auf sich selbst) fokussieren, und dass Ihre üblichen Ängste kurzzeitig verschwinden.
Das «Gefangensein» in der eigenen Welt ist für Menschen mit ausgeprägten Ängsten oft nur sehr schwer zu unterbrechen. Es ist deshalb wichtig, sich der selbstfokussierten Aufmerksamkeit bewusst zu werden und mehr Kontrolle über diese Prozesse zu gewinnen. Sie sollten daher üben, die Aufmerksamkeit wieder vermehrt nach aussen, auf die Umwelt und auf die eigentliche Aufgabe zu fokussieren, und die gewohnheitsmässig etablierte, schädliche Selbstaufmerksamkeit zu durchbrechen. Es folgt nun ein Beispiel, das Ihnen helfen soll, sich etwas unter dem Verschieben der Aufmerksamkeit vorzustellen.
Sie sitzen mit einer Gruppe von Leuten zusammen und erzählen von Ihren letzten Ferien. Plötzlich wird Ihnen bewusst, dass alle Sie anschauen. Nun achten auch Sie auf sich selbst. Sie bemerken, wie Sie zu schwitzen beginnen, sehen sich von aussen mit verzerrtem Gesicht, können sich nicht mehr auf die Geschichte konzentrieren, sind verwirrt, merken, wie Sie unsicher und ängstlich werden, verlieren den Faden und beginnen zu stottern.
Solche oder ähnliche Erfahrungen sind ganz typisch für Menschen mit ausgeprägten Ängsten. In der oben dargestellten Situation richten sie die Aufmerksamkeit typischerweise auf zwei Aspekte:
Zusammengenommen werden Betroffene in dieser Situation ein Chaos von Bildern und Gedanken erleben. Das erstaunt nicht, denn sie versuchen mindestens drei Dinge gleichzeitig zu tun:
Eigentlich – und das ist Ihnen sicher klar – sollten sich Menschen in dieser Situation vor allem auf die Feriengeschichte konzentrieren. Dann wären sie weniger verwirrt, würden den Faden nicht verlieren, wären weniger nervös und würden die Feriengeschichte viel besser und unterhaltsamer erzählen. Wenn es gelingt, die Aufmerksamkeit ganz auf die Feriengeschichte zu fokussieren, werden die anderen Aspekte, wie sie beispielsweise wirken und was die andern denken, von selbst positiver ausfallen.
Wir hoffen, diese kleine Geschichte hat noch einmal verdeutlicht, wie wichtig es für die Bewältigung von ausgeprägten Ängsten ist, die Aufmerksamkeit nach aussen auf die aktuelle Aufgabe zu lenken statt sie nach innen oder auf die Reaktionen der anderen zu lenken. Denken Sie daran: Solche Aufmerksamkeitsprozesse umzulenken, braucht Zeit und Übung. Schliesslich macht Übung den Meister.
Betroffene von starken Ängsten konzentrieren sich häufig, oft sogar fast ständig, auf potentiell Bedrohliches. Sie gehen gedanklich immer wieder durch, was passiert ist und was passieren könnte. Diese ständigen Gedanken an bedrohliche Situationen tragen verständlicherweise nicht dazu bei, dass man sich im Kopf von einer angstauslösenden Situation oder einem Ereignis distanzieren kann und die Angst reduziert wird.
Stellen Sie sich vor, Sie haben sich in der Küche mit einem Messer in den Finger geschnitten. Wie Sie wissen, heilt die Wunde mit der Zeit von selbst. Was würde passieren, wenn Sie ständig versuchen, die Wunde schneller heilen zu wollen, indem Sie immer wieder auf die Narbe klopfen und die Wunde ständig auswaschen? – Sie würden den Heilungsprozess verlängern und vielleicht würde sich die Wunde sogar entzünden.
Genauso ist es mit der Angst. Mit der Aufmerksamkeitslenkung auf mögliche Gefahren, dem exzessiven Denken an angstauslösende Situationen, dem Grübeln und Sich-Sorgen und mit dem Versuch, die Angst und die Gedanken zu kontrollieren, wird der Heilungsprozess blockiert bzw. die Angst verstärkt. Ziel der Aufmerksamkeitslenkung ist es daher, sich von den vielen Gedanken zu distanzieren, sodass Sie letztlich weniger von den Gedanken beeinflusst werden. Dabei sollte erkannt werden, dass Gedanken nicht Fakten, sondern «nur» Gedanken sind, mit denen man nichts tun muss, auf die man nicht reagieren muss und die man auch einfach relativ unbeteiligt beobachten kann.
Viele Betroffene versuchen bedrohliche Gedanken zu kontrollieren, indem sie sie zu unterdrücken und zu stoppen versuchen. Dieser Versuch, an etwas nicht zu denken, führt aber dazu, dass man noch viel stärker und öfter daran denkt. Studien haben gezeigt, dass es hilfreicher ist, zu versuchen, sich von den Gedanken zu distanzieren und diese als blosse Gedanken wahrzunehmen.