Wir möchten diese Sitzung mit einem Beispiel beginnen:
Stellen Sie sich vor, Sie sind zur Hochzeit eines guten Freundes eingeladen. Er hat Sie gebeten, nach dem Essen eine kleine Rede zu halten. Vor der Rede sind Sie sehr nervös. Schliesslich stehen Sie auf und beginnen mit der Rede. Die Gäste hören aufmerksam zu und Sie haben den Eindruck, dass es gar nicht so schlecht läuft. Auch Ihre Nervosität nimmt ab und Sie kommen immer besser in Fahrt. Aber gegen Ende Ihrer Rede, während einer ernsthaften Passage, beginnt ein Teil des Publikums plötzlich zu kichern. Wie würden Sie sich in so einem Moment fühlen? Würden Sie sich schämen, peinlich berührt sein, sich lächerlich fühlen oder würden Sie sich ärgern? Wie stark wären diese Gefühle?
Jetzt stellen Sie sich vor, Ihr Sitznachbar sagt nach der Rede: «Ich vermute, du hast nicht bemerkt, dass der Kellner hinter dir gestolpert ist und fast das Tablett mit den Gläsern fallen liess.» Wie würden Sie sich jetzt fühlen? Immer noch peinlich berührt, lächerlich oder ärgerlich? – Wahrscheinlich nicht!
Die Situation war immer die gleiche! Sie haben eine Rede gehalten, ein Kellner ist gestolpert und das Publikum hat gelacht. Verändert hat sich aber Ihr Gefühl! Weshalb? – Weil Sie etwas anderes gedacht haben. Zuerst haben Sie vielleicht gedacht, dass das Publikum Sie auslacht, und dass Sie peinlich oder lächerlich wirken. Später erst haben Sie realisiert, dass die Gäste nicht über Sie, sondern über den Kellner gelacht haben. Sie haben vielleicht gedacht: «Ach, das war der Kellner», und haben sich auch nicht mehr schlecht gefühlt. Die Situation hat sich damit nicht verändert! Verändert hat sich nur, was Sie dachten und aufgrund der veränderten Gedanken haben Sie sich auch anders gefühlt. Unsere Gefühle und Emotionen werden also nicht einfach durch unsere Umgebung bestimmt. Es ist also nicht nur die Situation alleine, die beeinflusst, wie wir uns fühlen. Unsere Gefühle werden vor allem durch unsere Gedanken über eine Situation bestimmt, das heisst, durch unsere Interpretation und Bewertung einer Situation.
Bestimmte Situationen oder bestimmte Ereignisse erhöhen zwar die Wahrscheinlichkeit, dass auch bestimmte Gefühle entstehen. Dies aber nur, weil wir in bestimmten Situationen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch etwas Bestimmtes denken. Wird eine Waffe auf Sie gerichtet, ist es sehr schwierig NICHT zu denken, dass Sie verletzt oder getötet werden könnten. Also ist es auch sehr schwierig keine Angst zu verspüren. Aber auch in diesem Beispiel wird die Angst letztlich durch den Gedanken «sterben zu können» verstärkt. Wenn Sie zum Beispiel denken, dass es sich um eine Spielzeugpistole handelt, werden Sie weniger oder keine Angst verspüren.
Sorgenvolle, negative Gedanken und Erwartungen sind ganz typisch für Menschen mit starken Ängsten; solche Gedanken verstärken die Ängste. In dieser Sitzung wollen wir uns auf negative Gedanken, Erwartungen und Interpretationen konzentrieren und sie einer gezielten Überprüfung unterziehen.
Ziel ist es, die negativen Gedanken durch eine angemessene, realistische Einschätzung zu ersetzen. Denn wenn wir unser Denken verändern, verändern wir auch unsere Gefühle.