Nach den einleitenden Fragen zur Motivation und den Erklärungen zur Funktionsweise des Programms kann es nun inhaltlich – zunächst mit einigen grundsätzlichen Informationen zum Gefühl der Angst – losgehen.
Eine der häufigsten Fragen von Menschen, die unter starken Ängsten leiden, ist: «Warum leide ausgerechnet ich unter diesen Ängsten?» – Die Antwort ist verständlicherweise vielfältig und komplex. Auch die Forschung hat bis heute keine eindeutigen und einfachen Ursache-Wirkungszusammenhänge identifiziert. In den letzten Jahren wurden aber schon viele Antworten gefunden, die sich auch für die Behandlung als nützlich erwiesen haben. Über diese Befunde möchten wir Sie in dieser Sitzung informieren.
Es ist wichtig, Angst und Angststörungen genau zu verstehen. In der psychotherapeutischen Behandlung von Angststörungen kommt es gar nicht selten vor, dass die Ängste schon deutlich reduziert werden, wenn ein genaues Verständnis aufgebaut wird. In diesem Fall wäre es das Verständnis über mögliche Ursachen und vor allem jene Faktoren, die die Ängste aufrechterhalten und verstärken.
Bevor wir aber auf Erklärungen und Modelle von Angststörungen zu sprechen kommen, möchten wir kurz über das Erscheinungsbild und die Verbreitung der Sozialen Angststörung informieren. Manchen Betroffenen ist gar nicht bewusst, dass sie nicht alleine sind. Sehr viele Menschen leiden im Verlaufe ihres Lebens an einer Angststörung. All diese Menschen sind und werden deshalb nicht «verrückt».
Der Kern der Sozialen Angststörung, die auch als Soziale Phobie bezeichnet wird, ist die Befürchtung aufzufallen, sich zu blamieren, unangemessen zu wirken oder eine mangelhafte Leistung zu erbringen. Es wird befürchtet, in Gesprächen mit anderen Leuten etwas Unpassendes zu sagen, oder sich in anderer Weise ungeschickt zu verhalten. Oder es wird befürchtet, dass andere einem die Angst in Form von Erröten, Zittern oder Schwitzen ansehen können.
Da diese Befürchtungen mit starker Angst und Anspannung verbunden sind, vermeiden die meisten Betroffenen soziale Situationen, auch wenn die Vermeidung auf Dauer ungünstige Konsequenzen hat. Hierzu gehören berufliche Nachteile und Beeinträchtigungen von Beziehungen zu Freund*innen, Bekannten oder Partner*in. Je stärker sich die Vermeidung im Lebensalltag ausbreitet, umso grösser wird die Angst. Auf Dauer verursachen Soziale Ängste nicht selten auch Folgeprobleme wie Einsamkeit, Niedergeschlagenheit und Depressionen.Nach Depression und Alkoholabhängigkeit gilt die Soziale Angststörung als dritthäufigste psychische Störung. Fast jeder siebte Mensch (13%) leidet im Laufe seines Lebens darunter, wobei genaue Zahlen je nach Definition der Sozialen Angststörung und Kultur variieren.
Obwohl etwa gleich viele Männer wie Frauen wegen ihren Sozialen Ängsten professionelle Hilfe aufsuchen, kann aufgrund von Befragungen in der allgemeinen Bevölkerung davon ausgegangen werden, dass Frauen etwas häufiger als Männer unter Sozialen Ängsten leiden. Frauen suchen also weniger häufig professionelle Hilfe auf als Männer. Möglicherweise stehen Männer in westlichen Gesellschaften noch stärker unter beruflichem und sozialem Leistungsdruck als Frauen. Sie sind dadurch eher gezwungen, Hilfe aufzusuchen. Bei Frauen ist möglicherweise auch die Hemmschwelle höher, professionelle Hilfe aufzusuchen.
Bei vielen Betroffenen bestehen die Sozialen Ängste schon lange Zeit, meist seit der Kindheit oder Pubertät. Manchmal treten die Ängste erst im Erwachsenenalter auf oder der genaue Beginn ist nicht auszumachen. Ängste in Anwesenheit anderer Menschen sind ein weit verbreitetes Phänomen und zunächst etwas Normales. Erst wenn die Angst eine sehr starke Intensität annimmt und zu erheblichen Beeinträchtigungen in der Lebensgestaltung führt, spricht man von einer Sozialen Angststörung bzw. Sozialen Phobie.