... Ihre Befürchtungen tatsächlich eintreten würden? Was wäre eigentlich so schlimm, wenn Sie bei einer Rede zittern, erröten, den Faden verlieren oder wenn die anderen denken, dass Sie langweilig sind? Was wäre, wenn Sie bei der Arbeit etwas vergessen und in Streit mit Ihrem/r Chef*in geraten? Was wäre, wenn Sie während einer Busfahrt tatsächlich in Ohnmacht fallen? Was wäre, wenn tatsächlich einige glauben, Sie seien verrückt? Oder: Angenommen, Sie fallen tatsächlich durch die Prüfung. Und dann?
Wie erwähnt, überschätzen Betroffene von starken Ängsten die negativen Konsequenzen eines Ereignisses. Dies vor allem auch deshalb, weil sie sich gar nicht genauer fragen, was denn eigentlich die Konsequenz wäre, und was daran so schlimm wäre, wenn der negative Gedanke eintreten würde. Fehler zu machen, in einen Konflikt zu geraten, durch eine Prüfung zu fallen, zu zittern, zu erröten oder den Faden zu verlieren ist einfach eine Katastrophe. Was wirklich passieren könnte, wenn die schlimme Befürchtung wahr würde, darüber wird nicht nachgedacht.
Auf den ersten Blick mag es paradox klingen, wenn wir Ihnen in der Folge empfehlen, sich die schlimmstmöglichen Konsequenzen ganz konkret auszumalen und auszuformulieren. Über das Schlimmste nachzudenken könnte ja die Ängste verstärken. In der Forschung zur Angstbehandlung konnte aber überzeugend nachgewiesen werden, dass genau dies die Ängste letztlich reduziert. Im Übrigen können Sie, nachdem Sie die schlimmstmöglichen Befürchtungen konkret ausformuliert haben, auch wieder nach Beweisen und Anhaltspunkten für oder gegen diese Befürchtungen suchen.
Sie möchten einen Arbeitskollegen oder eine Arbeitskollegin fragen, ob er oder sie nach der Arbeit mit Ihnen etwas trinken gehen möchte. Weil Sie diese Idee nervös macht, identifizieren Sie in einem ersten Schritt die negativen Gedanken: «Sie/er wird mir eine Abfuhr erteilen. Sie/er will nicht mit mir ausgehen.» In einem zweiten Schritt suchen Sie, wie in der bisherigen Sitzung beschrieben, erstmal nach Beweisen und Anhaltspunkten, die für oder gegen diese Befürchtung sprechen. Für eine Absage spricht, dass Sie die Person nicht wirklich kennen, und dass Sie noch nie mit ihr ausgegangen sind. Für eine Zusage spricht, dass die Kollegin/der Kollege bei der Arbeit immer sehr nett zu Ihnen war (persönliche Erfahrung), und dass Sie, wenn Sie selbst gefragt würden, sehr gerne mit einer Arbeitskollegin/einem Arbeitskollegen etwas trinken gehen würden (Rollenwechsel).
Wenn Sie diese realistischen Gedanken gegeneinander abwägen, kommen Sie vielleicht darauf, dass die Chance für eine Zu- oder Absage etwa 50:50 beträgt.
Viele Menschen würden sich in dieser Situation sagen: «Gut, dann kann ich ja mal fragen.» Personen mit ausgeprägten Ängsten tun genau dies aber nicht. Ein wichtiger Grund hierfür ist eben, dass es für sie intuitiv eine Katastrophe wäre, wenn die Person absagt (ohne, dass sie wirklich konkret über die schlimmstmöglichen Konsequenzen nachgedacht haben). Sie sollten sich also, wie in diesem Kapitel erklärt, fragen, was denn eigentlich passieren würde, wenn die Person tatsächlich ablehnt. Was wäre die Konsequenz, wenn sie nicht mit Ihnen ausgehen möchte? Was wäre so schlimm daran? – Auf diese Fragen würden Sie vielleicht antworten: «Das würde bedeuten, dass sie/er mich nicht mag.» Hierbei handelt es sich wieder um eine negative Annahme, die Sie hinterfragen können. Welche Anhaltspunkte und Beweise haben Sie, dass die Person Sie nicht mag, wenn sie die Einladung ablehnt? Sie könnten zum Beispiel alternative Erklärungen finden: «Vielleicht hat die Person nein gesagt, weil sie sehr beschäftigt oder müde ist.» Oder Sie könnten einen Rollenwechsel vornehmen: Wenn Sie selbst eine Einladung zu einem Drink ablehnen, würde das bedeuten, dass Sie die Person nicht mögen? Oder könnte es zum Beispiel auch sein, dass Sie zu schüchtern sind?
Sie könnten sich aber auch noch weiterfragen: Was wäre denn, wenn Ihr Arbeitskollege/Ihre Arbeitskollegin Sie tatsächlich nicht mag. Was wäre so schlimm daran? Wahrscheinlich wären Sie traurig, enttäuscht und vielleicht würden Sie sich auch ungerecht behandelt fühlen und ärgerlich sein, aber wäre das eine Katastrophe?