Wie erwähnt, ziehen Menschen mit ausgeprägten Ängsten oft negative Schlussfolgerungen, ohne überhaupt Beweise und Anhaltspunkte für die negativen Erwartungen zu haben und ohne andere Möglichkeiten ausreichend betrachtet zu haben. Im Weiteren überschätzen sie die Wahrscheinlichkeit, dass die Befürchtungen tatsächlich eintreten werden.
Mit der unrealistischen Überschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass das Negative passieren wird, werden Ängste verstärkt. Im Gegensatz dazu kann eine realistische Einschätzung der Wahrscheinlichkeit die Angst reduzieren. Um zu einer realistischen Einschätzung zu kommen, und um von dieser Einschätzung auch überzeugt zu sein, sollten Sie Beweise und Anhaltspunkte sammeln, die für oder gegen den negativen Gedanken sprechen und Sie sollten auch alternative Erklärungen und Schlussfolgerungen in Betracht ziehen.
Wir möchten Ihnen im Folgenden drei grundsätzliche Möglichkeiten aufzeigen, wie Sie am besten Beweise, Anhaltspunkte und alternative Sichtweisen erarbeiten können.
Die besten Anhaltspunkte, ob ein Gedanke realistisch ist oder nicht, liefern Ihre persönlichen Erfahrungen.
Wenn Sie sich zum Beispiel Sorgen machen, dass auf einer bevorstehenden Feier niemand mit Ihnen sprechen wird (negativer Gedanke: «Niemand wird mit mir sprechen»), sollten Sie an alle Feiern denken, die Sie bisher besucht haben. Es kann sein, dass Sie Feiern erlebt haben, auf denen niemand mit Ihnen gesprochen hat. Aber vielleicht gab es auch Feiern, die ganz gemütlich waren und auf denen Sie sich ganz gut unterhalten haben.
Zu Ihrem Erfahrungsschatz gehören auch Ihr allgemeines Wissen und allgemeinere Erfahrungen. Sie können sich zum Beispiel fragen:
Wie ist es eigentlich? Passiert, was Sie befürchten, in entsprechenden Situationen oft? Haben Sie das schon beobachtet oder haben Sie schon davon gehört oder gelesen? Wenn Sie zum Beispiel eine bestimmte Krawatte angezogen haben und denken, dass die anderen über Ihre Krawatte lachen werden, können Sie sich fragen, wann Sie zum letzten Mal erlebt haben, dass jemand über eine Krawatte gelacht hat. Wahrscheinlich haben Sie das schon lange nicht mehr erlebt. Wenn Sie befürchten, aufgrund sehr starker Angst ohnmächtig zu werden, können Sie sich fragen, ob Sie schon einmal beobachtet oder gelesen haben, dass jemand aufgrund starker Angst ohnmächtig wurde oder gelähmt am Boden lag? – Wahrscheinlich nicht, denn die Angst bereitet ja den gesamten Körper auf Aktivität vor und ruft typischerweise nicht Ohnmacht und Lähmung hervor. Kurz: Realistisch denken heisst, alle Erfahrungen und Anhaltspunkte einzubeziehen.
Ihre Gedanken bzw. Sorgen sind eine Möglichkeit, wie die Situation ausgehen oder interpretiert werden kann. Aber es ist eben nur eine Möglichkeit! Denken Sie immer auch über andere, alternative Sichtweisen nach.
Wenn Ihnen eine alte Freundin zu Weihnachten keine Karte geschickt hat, denken Sie vielleicht: «Sie mag mich nicht mehr.» Gibt es auch andere, alternative Erklärungen? – Vielleicht schreibt sie grundsätzlich keine Weihnachtskarten mehr (auch anderen nicht) oder sie hatte dieses Jahr schlicht keine Zeit.
Wichtig ist, dass Sie an Ihren negativen Gedanken und Sorgen immer wieder Zweifel äussern und so auch alternative Erklärungsmöglichkeiten erarbeiten.
Wenn Sie sich Sorgen über die Meinung anderer Leute machen, ist ein Rollenwechsel nützlich. Hierbei versuchen Sie sich vorzustellen, eine andere Person würde in Ihrer Situation stecken. Wie würden Sie über diese Person denken? Wenn Sie z.B. auf einem Fest den Namen eines Bekannten vergessen haben, geht Ihnen vielleicht der folgende negative Gedanke durch den Kopf: «Er wird denken, ich sei völlig uninteressiert und wird nichts mehr mit mir zu tun haben wollen.» Was würden Sie denken, wenn Sie an seiner Stelle wären? Was würden Sie denken, wenn jemand auf einem Fest Ihren Namen vergessen hat? Vielleicht: «Das kann passieren. Das ist mir auch schon passiert. Macht nichts. Ich denke gar nicht lange darüber nach.»
Wenn Sie denken, dass Sie von anderen nicht mehr gemocht werden, wenn Sie einen Fehler machen oder eine Prüfung nicht bestehen, könnten Sie sich fragen: Wie würden Sie über eine andere Person denken, die bei der Arbeit Fehler gemacht oder eine Prüfung nicht bestanden hat? Wäre Ihnen diese Person dann unsympathisch? – Wahrscheinlich nicht. Im Allgemeinen werden Personen besser gemocht, die nicht immer perfekt sind, die auch Fehler machen und die auch Schwächen zeigen.
Nützlich ist, auch einmal die Perspektive zu wechseln und sich vorzustellen, wie Sie reagieren und was Sie sagen und denken würden, wenn eine andere Person, ein Freund, eine Freundin in Ihrer Situation stecken würde.